Was sorgt dafür, dass ein Leben wird, wie
es wird? Diese Frage, die Protagonist Jules gleich auf der dritten Seite des Romans an sich/den Leser stellt, legt den Grundstein für Benedict Wells‘ Betrachtungen über Schicksal, Zufall und – Einsamkeit. Ein Familienroman (oder auch nicht?), der mit klugen Beobachtungen und sprachlicher Brillance überzeugt.
es wird? Diese Frage, die Protagonist Jules gleich auf der dritten Seite des Romans an sich/den Leser stellt, legt den Grundstein für Benedict Wells‘ Betrachtungen über Schicksal, Zufall und – Einsamkeit. Ein Familienroman (oder auch nicht?), der mit klugen Beobachtungen und sprachlicher Brillance überzeugt.
Jules und seine beiden älteren Geschwister Marty und Liz verlieren bereits im Kindesalter ihre Eltern bei einem tragischen Verkehrsunfall. Obwohl alle drei nach diesem Ereignis auf das gleiche Internat geschickt werden, verändert dieses Ereignis das Verhältnis der Geschwister für immer.
Besonders der Jüngste, der verträumte Jules, hat sehr mit der Situation zu kämpfen. Sein einziger Trost und Rückhalt ist Alva – ein stilles und besonderes Mädchen in Jules‘ Klasse. Doch auch diese Nähe ist nicht von Dauer, alle drei Geschwister entwickeln sich zu Einzelkämpfern. Schließlich, nach 11 Jahren ohne Nachrichten, nimmt Jules wieder Kontakt zu Alva auf. Doch können sie die verpasste Zeit wirklich nachholen?
Müsste ich diesen Roman mit einem Wort zusammenfassen, so wäre dies wohl: melancholisch. Wie die drei Geschwister mit ihrem Leben umgehen, wie sie immer wieder versuchen, das Glück zu greifen und welche Worte Benedict Wells dafür findet, das hat bei mir eine konstant melancholische Stimmung bei Lesen verursacht. Die Ausgangssituation der Erzählung – der tragische Unfall der Eltern – sowie Wells‘ Erzählstimme führten dazu, dass ich mir beim Lesen häufig philosophische Fragen gestellt habe. Kann man so einen Schicksalsschlag überhaupt überwinden?
Wells macht anhand des Verhaltens seiner Charaktere deutlich, wie ein einziger Moment den Verlauf eines ganzen Lebens beeinflussen kann. Und immer diese Fragen an sich selbst: An welchem Punkt wäre ich denn glücklich? Wann stellt sich diese Angst ein, sein Leben ‚vergeudet‘ zu haben? Obwohl ich zugeben muss, dass keiner der drei Geschwister ein richtiger Sympathieträger ist, so war ich doch durch Wells‘ Sprache und Erzählweise und den genannten Fragen, die sich im Leser entwickeln, permanent in der Geschichte gefangen.
Die Handlung ist gut konstruiert, einzig die Episode in der Schweiz fand ich persönlich zu ausgedehnt erzählt. Bis auf einzelne Szenen zwischen Jules und Alva kommt die Geschichte um den Kitsch gut drumherum. Gerade mit den Dialogen hat mich Benedict Wells – wieder einmal – überzeugt, hinzu kamen diesmal aber auch die musikalischen und literarischen Referenzen, die sehr klug ausgewählt waren. Nick Drake und Elliot Smith – noch näher kommt man an den Inbegriff von Melancholie wohl kaum heran.
Im gleichen Zug lässt sich hier der Titel des Romans nennen: Vom Ende der Einsamkeit. Er ist das zentrale Motiv der Erzählung, jenen Moment, auf den besonders Jules mit unbedingtem Willen hinsteuert. Doch kann dieser Moment überhaupt erreicht werden?
Was mich insgesamt fasziniert hat, war, dass meine Sympathie für diesen Roman hauptsächlich durch Sprache, Handlung und einzelne Szenen hervorgerufen wurde und nicht unbedingt durch die Charaktere selbst. Berühren konnte mich die Geschichte dennoch. Spannenderweise an jenem Punkt am meisten, an dem ich das Buch gerade beendet hatte und noch ein paar Minuten über viele Fragen nachdachte.
Ein melancholisch, nachdenklich stimmender Roman, der sich mit den großen Themen Verlust, Einsamkeit und Lebensperspektiven beschäftigt. Für manch einen mag die Grundstimmung zu melancholisch sein, mich persönlich hat aber gerade dieser Aspekt fasziniert und zum Nachdenken gebracht. Mit klugem Blick und sprachlicher Brillance zeigt Benedict Wells auf, wie sehr man von einzelnen Momenten im Leben geprägt werden kann und vergisst bei aller Melancholie letztlich nicht, dem Leser jenen Mut mitzugeben, trotz allem die schönen Momente im Leben zu finden.
AUTOR Benedict Wells | GENRE Gegenwartsliteratur
ERSCHEINUNGSJAHR 2016
VERLAG diogenes | SEITEN 368 | FORMAT Gebunden, Leineneinband
22,00 € [D] | 22,70 € [A]
ISBN: 978-3-257-06958-7
alle Fotos © The Lines Between