Mit Becks letzter Sommer hat Benedict Wells die Aufmerksamkeit von Presse und Leserschaft auf sich gezogen. Nun gilt es: Kann er mit seinem nächsten Roman dem Erwartungsdruck standhalten?
Francis ist siebzehn und wohnt mit seiner alleinerziehenden, arbeitslosen Mutter in einem heruntergekommenen Trailerpark in New Jersey. Nicht die besten Zukunftsaussichten… Doch Francis‘ Leben ändert sich, als er schließlich die Wahrheit über seine Zeugung erfährt: Sie war Teil eines wissenschaftlichen Experiments! Und Francis‘ Vater ist kein Versager, der eines Tages mir nichts dir nichts verschwand, sondern ein genialer Wissenschaftler aus Harvard!
Francis spürt, dass seine Zukunft von diesem Genie, seinem Vater, abhängen wird. Gemeinsam mit seinem nerdigen Freund Grover und der labil-verrückten Anne May (in die Francis natürlich heimlich verliebt ist), macht sich Francis in einem alten Chevy auf zu einem Roadtrip quer durch die USA hinüber zur Westküste: auf der Suche nach seinem Vater, auf der Suche nach sich selbst. Was wird Francis am Ende finden?
Meiner Meinung nach schafft es Benedict Wells in ‚Fast genial‘ sehr gut, dem Leser anspruchsvolle Unterhaltung zu liefern. Der Roman bietet eine klassische Story über das Erwachsenwerden und auch das Roadmovie ist keine Erfindung von Wells; erst der thematische Fokus auf die Rolle von Genetik, Erziehung und Selbstbestimmung machen Wells dritten Roman zu etwas Besonderem. Mit seinem Erzählton trifft Wells den Nerv sowohl jüngerer als auch älterer Leser; seine Jugendsprache ist lesbar, ohne zu authentisch oder uptodate sein zu wollen.
Mir gefällt es, wie Wells diese drei großen Aspekte – Erwachsenwerden, Roadtrip, die Samenbank der Genies [1] – verknüpft. Natürlich wird hier Kritik laut, letzteres Thema sei nicht genügend recherchiert, nicht mit genug Hintergrund behandelt etc., jedoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass wir es hier letzten Endes mit einem Unterhaltungsroman zu tun haben!
Die beiden Nebencharaktere Grover (der Nerd, der Loser) und Anne May (die Schönheit, die Verrückte) wirken auf den ein oder anderen wohl klischeebehaftet, für mich hatten sie aber genügend liebenswerte und verschrobene Charakterzüge. Nicht ganz hinwegsehen konnte ich jedoch über die Ausgangslage der Geschichte, denn hier häufen sich die Klischees doch etwas zu sehr: der Trailerpark, die depressive & arbeitslose Mutter, die gewalttätigen Nachbarn, Drogenkonsum. Das hätte es in dieser krassen Form vielleicht gar nicht gebraucht. Auch von den USA im Ganzen hätte ich mir während des Roadtrips interessantere Details gewünscht, allerdings glaube ich, dass dies grundsätzlich für Nicht-Amerikaner eine sehr herausfordernde Aufgabe ist und habe daher hier Nachsicht mit Wells.
Nach Becks letzter Sommer einen neuen Roman abzuliefern, war sicherlich keine einfache Aufgabe. Doch Wells kann schreiben; besonders das allerletzte Kapitel hat mich sehr beeindruckt! Dem Roadtrip und seinem unangestrengten Erzählton ist er sich treu geblieben, Themen und Handlungsorte haben sich verschoben. Benedict Wells dritter Roman bietet nachdenkliche, gute Unterhaltung und lässt mich gespannt auf sein nächstes Werk warten.
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[1] Die ‚Samenbank der Genies‘ gab es in den 80er Jahren wirklich. Der amerikanische Multimillionär Robert Klark Graham war der Auffassung, dass durch die niedrigere Geburtenrate unter Akademikern die Intelligenz der Menschheit nach und nach verkümmere. In seiner Samenbank sammelte er deshalb Spermien von ‚Genies‘ (anerkannte Wissenschaftler, Nobelpreisträger, Olympiasieger) gesammelt, um sie an weibliche Versuchspersonen auszugeben. Über 200 Kinder wurden auf diese Weise gezeugt, bevor die Samenbank 1999 geschlossen wurde. Das Projekt gilt als gescheitert. (Quelle: http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/magazine/5078800.stm)
Fast genial
AUTOR Benedict Wells | GENRE Belletristik / Gegenwartsliteratur
ERSCHEINUNGSJAHR 2011
VERLAG diogenes | SEITEN 321 | FORMAT Gebunden mit Schutzumschlag
19,90 € [D]
ISBN: 978-3-257-06789-7