Dies ist ein Text, den ich eigentlich für einen Wettbewerb (Thema: 15 Minuten) geschrieben hatte. Da ich aber nicht in die nächste Runde gekommen bin, wird er nun wenigstens hier veröffentlicht:
Schmetterlinge im Einmachglas
Der Streifen aus Leuchtstoffröhren zuckte und warf kurze Blitze auf den Asphalt. Der schwere, schwarze Geruch betäubte die Luft. Die gekachelten Mauern sahen das näher kommende Licht zuerst.
Er betrat den grauen Kasten mit den zerkratzten Fenstern und verlor seine Identität. Sofort, ohne Wahl. Das war nichts Besonderes, den vielen anderen gingt es ebenso. Er wusste das, auch wenn sie es ihm nicht verraten wollten. Man konnte es an ihren Augen sehen. Er suchte sich eine Nische, wo ihn das Neonlicht nicht so sehr anschreien konnte, und nahm auf einem einzelnen Sitz Platz. Das Polster war zerschlissen. Ächzend setzte sich der metallene Wurm in Bewegung. 15 Minuten würde er ihn verschluckt halten, dachte Robert. 15 Minuten würde er nicht da sein. 15 Minuten ohne Normalität, in der Normalität.
Der Wurm zog sich durch die dunklen Röhren, immer mit einem Lichtblick, der in Sekundenschnelle wieder erlosch. Robert sah durch die zerkratzten Scheiben. Die meiste Zeit verschluckte die Dunkelheit alle Konturen, doch dann sah er wieder in die Realität, wie in einen Fernseher hinein. Die Türen wurden geschlossen und der Wurm kroch erneut in die Dunkelheit. Robert sah nur sein eigenes, trauriges Spiegelgesicht. Er blickte in die Gesichter der anderen, doch niemand schaute ihn an. Sie waren betäubt von der vorbei rauschenden Dunkelheit und den großen Zahlen auf den neonfarbenen Plakaten. Einer las Zeitung. Die Stimme beruhigte sie alle. Sie erklärte ihnen, wo sie waren. Wer sie waren.
Robert ließ sich tragen und versuchte seine 15 Minuten Unsichtbarkeit zu durchzustehen. Drei Minuten hatte er schon geschafft. Ohne den Weg zu kennen, trieb er einem Ziel entgegen, welches 12 Minuten in der Zukunft lag. Darauf war verlass, auch wenn er selbst keinen Einfluss darauf hatte. Er fühlte sich mit den anderen seltsamerweise verbunden. Sie waren eine Gemeinschaft ohne Gemeinsamkeiten, eingesponnen in einem Kokon aus Ort-Zeit-Gewebe. Sie hatten sich irgendwie selbst verloren, manche von ihnen bewusst, für eine Momentaufnahme.
Es wurde wieder hell und andere Menschen strömten herein. Robert beobachtete sie. Geplagt von Müdigkeit waren sie, und gleichzeitig voller Sehnsucht. Robert sah ganze Wälder in ihren Köpfen vorbeiziehen. Einer träumte und hatte vergessen wo er war. Ein anderer wiederum hatte den Blick voller Zweifel und umklammerte seinen Aktenkoffer. Noch 10 Minuten Unsichtbarkeit. Keiner sprach ein Wort.
Robert sah zurück in die leeren Wege. Wieder ein Halt, der die Momentaufnahme verwirbelte. Wie scheue Tiere krochen sie herein. Roberts Augen waren plötzlich hellwach. Er suchte in der Masse nach den blonden Locken. Er sah sie hinten an der anderen Tür stehen, versunken. Ohne Sehnsucht. Ohne Fragen. Er starrte sie an, doch sie bemerkte ihn nicht. Er kannte ihren Namen nicht und konnte sie nicht rufen. Und zwischen ihnen diese Schar von dunklen Mänteln. Dann plötzlich sah sie ihn an und Robert fühlte einen sanften Schauer. Doch ihre Augen blieben leer und Robert merkte, dass sie nur durch ihn hindurch sah. Noch 8 Minuten. 8 Minuten Verzweiflung.
Robert zog an der Fensterscheibe die Kratzspuren mit den Fingerspitzen nach. Er wollte von dem kreischenden Schmetterlingen in seinem Bauch nichts wissen. Und plötzlich spürte er diesen Blick. Diese anderen Augen, die ihn nicht anstarrten, die nicht leer war, sondern die ihn fragten: Warum lässt du das zu? Robert kannte diese Frage. Robert kannte diesen Blick. Er kannte den alten Mann, dem dieser Blick gehörte. Er fuhr jeden Tag die gleiche Strecke wie er selbst. Mit sanftmütigen, dunkelbraunen Augen sah er Robert an. Er saß zwei Plätze vor ihm und schmunzelte in seinen Schnauzbart hinein.
Robert konnte das nicht ertragen. War er denn Schuld, dass ihn niemand wahrnahm? Was konnte er dagegen tun, dass er sich ständig verlor? Er hätte gerne gewusst, wer dieser Mann war, doch der stieg immer eine Station früher aus. Robert vermutete, dass er Lehrer war, denn er hatte eine alte, abgewetzte Ledertasche auf dem Schoß. Er hätte gerne mit dem alten Mann gesprochen, ihn gefragt, ob er auch diesen Nebel spüre und ob er wüsste, wie er das Mädchen mit den blonden Locken ansprechen könnte. Doch der Mann schien losgelöst von allen Problemen und schmunzelte nur. Robert machte das wütend. Wieder hell. Wieder dunkel. Noch 5 Minuten.
Robert fühlte, wie er durch einen Tunnel lief, aber er konnte das Ende nicht sehen. Seine Gedanken waren wie geschient und nirgends gab es eine Abzweigung auf dem Gleis. Seht mich doch an! Seht mich doch an! Er wollte die Leute gerne anschreien, aber dann würden die kreischenden Schmetterlinge aus seinem Bauch heraus fliegen und einen riesigen Lärm veranstalten und das Mädchen mit den blonden Locken müsste sich die Ohren zuhalten und könnte gar nicht hören, wie er ‚Ich glaube, ich liebe dich‘ flüsterte.
Robert sah in die Gleichgültigkeit der weißen Gesichter. Ihr Verlangen ist verloren gegangen, dachte er. Sie waren ohne Wunsch. Ohne Hoffnung. Sie ließen sich fort tragen in diesem metallenen Wurm, führerlos, bedingungslos. Sie waren der Durchschnitt der Normalität, kleine Bilder ohne Zusammenhang, Abbild einer Frage ohne Antwort. Kleine Menschen ohne Träume. 3 Minuten.
Als sie das nächste Mal zum Stehen kamen, stiegen mehr Menschen aus als ein. Der alte Mann war fort. Die plötzlichen Lücken zeigten neue Gesichter. Robert konnte keine Wälder mehr sehen in den Augen der anderen. Alles schien sich aufzulösen und zurück blieb nur dieser Nebel. Der Gang zu dem Mädchen mit den blonden Locken war jetzt wieder frei. Doch Robert hatte den Moment verloren. Zwischen all den Statuen war kein Platz für seine Schmetterlinge. Er würde sie zu Hause hochwürgen und in einem Einmachglas auf die Fensterbank stellen. Er würde es morgen erneut versuchen. Er würde bei der anderen Tür einsteigen und sich nicht hinsetzen. Er würde es nicht zulassen, dass sie ihn unsichtbar machten. 1 Minute.
Robert hörte die Stimme sich erheben. Sie wies ihn an, er müsse jetzt gehen. Robert drückte auf den roten Knopf und stand auf. Die Reise hatte kein Ziel mehr. Er konnte nicht an der Tür aussteigen, an der das Mädchen mit den blonden Locken noch immer gedankenverloren stand. Die Tür öffnete sich und die Schmetterlinge kämpften gegen die Gleichgültigkeit, als er auf der Rolltreppe stand.
Er betrat den grauen Kasten mit den zerkratzten Fenstern und verlor seine Identität. Sofort, ohne Wahl. Das war nichts Besonderes, den vielen anderen gingt es ebenso. Er wusste das, auch wenn sie es ihm nicht verraten wollten. Man konnte es an ihren Augen sehen. Er suchte sich eine Nische, wo ihn das Neonlicht nicht so sehr anschreien konnte, und nahm auf einem einzelnen Sitz Platz. Das Polster war zerschlissen. Ächzend setzte sich der metallene Wurm in Bewegung. 15 Minuten würde er ihn verschluckt halten, dachte Robert. 15 Minuten würde er nicht da sein. 15 Minuten ohne Normalität, in der Normalität.
Der Wurm zog sich durch die dunklen Röhren, immer mit einem Lichtblick, der in Sekundenschnelle wieder erlosch. Robert sah durch die zerkratzten Scheiben. Die meiste Zeit verschluckte die Dunkelheit alle Konturen, doch dann sah er wieder in die Realität, wie in einen Fernseher hinein. Die Türen wurden geschlossen und der Wurm kroch erneut in die Dunkelheit. Robert sah nur sein eigenes, trauriges Spiegelgesicht. Er blickte in die Gesichter der anderen, doch niemand schaute ihn an. Sie waren betäubt von der vorbei rauschenden Dunkelheit und den großen Zahlen auf den neonfarbenen Plakaten. Einer las Zeitung. Die Stimme beruhigte sie alle. Sie erklärte ihnen, wo sie waren. Wer sie waren.
Robert ließ sich tragen und versuchte seine 15 Minuten Unsichtbarkeit zu durchzustehen. Drei Minuten hatte er schon geschafft. Ohne den Weg zu kennen, trieb er einem Ziel entgegen, welches 12 Minuten in der Zukunft lag. Darauf war verlass, auch wenn er selbst keinen Einfluss darauf hatte. Er fühlte sich mit den anderen seltsamerweise verbunden. Sie waren eine Gemeinschaft ohne Gemeinsamkeiten, eingesponnen in einem Kokon aus Ort-Zeit-Gewebe. Sie hatten sich irgendwie selbst verloren, manche von ihnen bewusst, für eine Momentaufnahme.
Es wurde wieder hell und andere Menschen strömten herein. Robert beobachtete sie. Geplagt von Müdigkeit waren sie, und gleichzeitig voller Sehnsucht. Robert sah ganze Wälder in ihren Köpfen vorbeiziehen. Einer träumte und hatte vergessen wo er war. Ein anderer wiederum hatte den Blick voller Zweifel und umklammerte seinen Aktenkoffer. Noch 10 Minuten Unsichtbarkeit. Keiner sprach ein Wort.
Robert sah zurück in die leeren Wege. Wieder ein Halt, der die Momentaufnahme verwirbelte. Wie scheue Tiere krochen sie herein. Roberts Augen waren plötzlich hellwach. Er suchte in der Masse nach den blonden Locken. Er sah sie hinten an der anderen Tür stehen, versunken. Ohne Sehnsucht. Ohne Fragen. Er starrte sie an, doch sie bemerkte ihn nicht. Er kannte ihren Namen nicht und konnte sie nicht rufen. Und zwischen ihnen diese Schar von dunklen Mänteln. Dann plötzlich sah sie ihn an und Robert fühlte einen sanften Schauer. Doch ihre Augen blieben leer und Robert merkte, dass sie nur durch ihn hindurch sah. Noch 8 Minuten. 8 Minuten Verzweiflung.
Robert zog an der Fensterscheibe die Kratzspuren mit den Fingerspitzen nach. Er wollte von dem kreischenden Schmetterlingen in seinem Bauch nichts wissen. Und plötzlich spürte er diesen Blick. Diese anderen Augen, die ihn nicht anstarrten, die nicht leer war, sondern die ihn fragten: Warum lässt du das zu? Robert kannte diese Frage. Robert kannte diesen Blick. Er kannte den alten Mann, dem dieser Blick gehörte. Er fuhr jeden Tag die gleiche Strecke wie er selbst. Mit sanftmütigen, dunkelbraunen Augen sah er Robert an. Er saß zwei Plätze vor ihm und schmunzelte in seinen Schnauzbart hinein.
Robert konnte das nicht ertragen. War er denn Schuld, dass ihn niemand wahrnahm? Was konnte er dagegen tun, dass er sich ständig verlor? Er hätte gerne gewusst, wer dieser Mann war, doch der stieg immer eine Station früher aus. Robert vermutete, dass er Lehrer war, denn er hatte eine alte, abgewetzte Ledertasche auf dem Schoß. Er hätte gerne mit dem alten Mann gesprochen, ihn gefragt, ob er auch diesen Nebel spüre und ob er wüsste, wie er das Mädchen mit den blonden Locken ansprechen könnte. Doch der Mann schien losgelöst von allen Problemen und schmunzelte nur. Robert machte das wütend. Wieder hell. Wieder dunkel. Noch 5 Minuten.
Robert fühlte, wie er durch einen Tunnel lief, aber er konnte das Ende nicht sehen. Seine Gedanken waren wie geschient und nirgends gab es eine Abzweigung auf dem Gleis. Seht mich doch an! Seht mich doch an! Er wollte die Leute gerne anschreien, aber dann würden die kreischenden Schmetterlinge aus seinem Bauch heraus fliegen und einen riesigen Lärm veranstalten und das Mädchen mit den blonden Locken müsste sich die Ohren zuhalten und könnte gar nicht hören, wie er ‚Ich glaube, ich liebe dich‘ flüsterte.
Robert sah in die Gleichgültigkeit der weißen Gesichter. Ihr Verlangen ist verloren gegangen, dachte er. Sie waren ohne Wunsch. Ohne Hoffnung. Sie ließen sich fort tragen in diesem metallenen Wurm, führerlos, bedingungslos. Sie waren der Durchschnitt der Normalität, kleine Bilder ohne Zusammenhang, Abbild einer Frage ohne Antwort. Kleine Menschen ohne Träume. 3 Minuten.
Als sie das nächste Mal zum Stehen kamen, stiegen mehr Menschen aus als ein. Der alte Mann war fort. Die plötzlichen Lücken zeigten neue Gesichter. Robert konnte keine Wälder mehr sehen in den Augen der anderen. Alles schien sich aufzulösen und zurück blieb nur dieser Nebel. Der Gang zu dem Mädchen mit den blonden Locken war jetzt wieder frei. Doch Robert hatte den Moment verloren. Zwischen all den Statuen war kein Platz für seine Schmetterlinge. Er würde sie zu Hause hochwürgen und in einem Einmachglas auf die Fensterbank stellen. Er würde es morgen erneut versuchen. Er würde bei der anderen Tür einsteigen und sich nicht hinsetzen. Er würde es nicht zulassen, dass sie ihn unsichtbar machten. 1 Minute.
Robert hörte die Stimme sich erheben. Sie wies ihn an, er müsse jetzt gehen. Robert drückte auf den roten Knopf und stand auf. Die Reise hatte kein Ziel mehr. Er konnte nicht an der Tür aussteigen, an der das Mädchen mit den blonden Locken noch immer gedankenverloren stand. Die Tür öffnete sich und die Schmetterlinge kämpften gegen die Gleichgültigkeit, als er auf der Rolltreppe stand.
…über Feedback würde ich mich natürlich sehr freuen 😉
(Please don’t use my work without my permission.)
3 Kommentare
Ich finde den Text wirklich sehr gelungen :).
Das waren verschiedene private Verkäufer. Shops sind mir bei Ebay meistens zu teuer.
Ernsthaft? Öhm, ja, wie sach ich's ma…du hälst das anfänglich hohe Sprachniveau nicht. Ab der Mitte etwa fällt's spürbar ab. Einige Sätze sind zu lang bzw bestehen aus mehreren Satzteilen und verlieren dadurch an Aussagekraft und stören den Rythmus.
Ansonsten: sehr guter Text!
Ah, der Wettbewerb vom Kulturspiegel und Thalia. 😉
Ich muss ehrlich sagen, dass ich hier mehrere Ebenen sehe. Sprachlich technisch ist es ein guter solider Text.
Erzählersich hat er aber leider keine Spannungskurve, finde ich. Es geht hauptsächlich um die äußere und innere Beobachtung einer einzelnen Person, es gibt kaum Handlungen. Beobachtung wird dann spannender, wenn entweder etwas außergewöhnliches passiert oder der Beobachter aus dem Normalen etwas außergewöhnliches schlußfolgert.
Ich will gar nicht so an deinem Text kritisieren, ich hoffe also, du bist mir nicht böse, aber ich finde außerdem, das Thema 15 Minuten wirkt aufgesetzt. (An dieser Stelle darfst du auf mich zeigen, "pack dir an die eigene Nase" sagen und lachen, denn unter anderem deshalb habe ich keinen Text für diesen Wettbewerb zu Stande bekommen) Diese 15 Minuten erfassen vielleicht das Gefühl von vielen Menschen da draußen, aber sie sind nicht besonders.
Aber: Ich fand den Wettbewerb auch nicht so toll. Hattest du gesehen, dass du im Falle einer Veröffentlichung deine Rechte an dem Text verlierst und die an der Spiegel gehen? Ich meine die kompletten Rechte. Das fand ich ziemlich krass/seltsam.
Außerdem war "15Minuten" ein wirklich dämliches Thema. Für mich ein "nicht-thema" denn man hätte alles mögliche schreiben können und am Ende "Es dauerte 15 Minuten" hinschmieren können. Tada, Thema erfüllt.
Ich hoffe ich war nicht zu harsch mit meiner Kritik, aber ich will dir ja "helfen" und hoffe, dass du bei mir genau so nicht mit Kritik zurück hälst.
Ich wette, du kannst das besser.